Modellversuch Traumapädagogik
Zentrale Ergebnisse der qualitativen Evaluation
Insgesamt wird in den qualitativen Interviews eine sehr hohe Zufriedenheit mit dem traumapädagogischen Prozess berichtet. Als Hindernisse bei der Umsetzung wurden häufig zu geringe Ressourcen im Alltag und personelle Diskontinuität sowie parallele Prozesse in den Einrichtungen angegeben. Die Belastung in der Implementierungsphase wurde benannt, wobei diese als Investition und ein Ringen um den eigenen Weg gedeutet wurden. Der Prozess wurde durchgehend als lohnenswert empfunden. Bezüglich der Veränderungen zeigte sich eine deutliche Sensibilisierung für Anzeichen von Selbstunwirksamkeit, Unsicherheit und Belastung bei Mitarbeitern sowie natürlich für Traumasymptome bei den Kindern und Jugendlichen. Die traumapädagogische Haltung und spezifischen Methoden wurden durchgehend als sehr hilfreich erachtet. Es wurden viele, sehr eindrückliche Beispiele aufgeführt, wie sich der pädagogische Alltag, die Haltung und die konkrete Beziehungsgestaltung zu Kindern, KollegInnen und Mitarbeitenden durch die Traumpädagogik verändert haben. In den qualitativen Interviews wird zwischen den Zeilen durchweg deutlich, dass alle Teilnehmenden auch einen intensiven persönlichen Prozess durchlaufen haben.
Fachpolitische Ergebnisse des Modellversuchs
Alle teilnehmenden Einrichtungen wollen sich weiterhin mit traumapädagogischen Konzepten befassen. Viele streben eine Ausweitung der Konzepte und Haltungen auf die Gesamteinrichtung, die Schlüsselprozesse und/oder den Aufbau von spezialisierten traumapädagogischen Gruppen an. Alle interviewten Fachkräfteberichten, dass sie und ihre Institutionen sehr vom Prozess profitiert zu haben. Alle Leitungskräfte, die in neue Einrichtungen gewechselt haben, setzen an ihren neuen Wirkungsstätten ebenfalls traumapädagogische Ideen um. Ausserdem konnten die traumapädagogischen Konzepte auf das spezifische Klientel der Einrichtung sowie die verschiedenen Entwicklungsalter und Institutionstypen relativ unkompliziert adaptiert werden. Die Auseinandersetzung mit traumapädagogischen Konzepten findet in der Schweiz auf einem sehr hohen fachlichen Niveau statt. Sehr erfreulich ist, dass die Institutionen auch durch den konsequenten Aufbau des Modellversuches verstanden haben, dass eine Weiterbildung nicht ausreicht, sondern auch ein Organisationsentwicklungsprozess notwendig ist, wenn Traumapädagogik konsequent umgesetzt werden soll.
- In weiten Teilen der Jugendhilfe und auch bei den Zuweisern ist eine höhere Traumasensibilität zu beobachten.
- Es wurde viel wichtiges Wissen über Change Management-Prozesse in sozialpädagogischen Einrichtungen gewonnen, die auch bei der Implementierung von anderen Konzepten von Interesse sein können.
- Inzwischen werden in der Schweiz zwei Weiterbildungen zur Qualifizierung zum Traumapädagogen/zur Traumapädagogin nach Richtlinien der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie/BAG angeboten, die stets überbucht sind.
- Die Modellinstitutionen bekamen bereits in der zweiten Hälfte des Modellversuches vermehrt Anfragen von hochbelasteten traumatisierten Jugendlichen, was den hohen Bedarf unterstreicht.
- Traumapädagogisch Interessierte aus der ganzen Deutschschweiz, nicht nur aus den Modellund Spiegelinstitutionen organisieren sich, um sich auszutauschen und traumapädagogische Konzepte weiterzuentwickeln.
Erfahrungen aus der Umsetzung von Change Management-Prozessen
Insgesamt ist es sehr erstaunlich, was sich in den Einrichtungen hin zu einer traumasensibleren Haltung verändert hat und wie schnell das Interesse an traumapädagogischen Konzepten in den Jahren des Modellversuches in der Schweizer Fachwelt gewachsen ist, so dass der Modellversuch von allen Beteiligten als sehr erfolgreich eingeschätzt wird. In der kritischen Selbstreflexion muss eingeräumt werden, dass die Belastung der Einrichtungen bei der Umsetzung und die Personalfluktuation, obwohl diese durchaus einkalkuliert war, noch unterschätzt wurde. Die Institutionen wurden dadurch sehr belastet und es wäre sicher sinnvoll gewesen, in den Institutionen für diese Prozesse mehr Ressourcen zur Verfügung zu haben oder im Rahmen des Modellversuchs zur Verfügung zu stellen, was zu erheblichen Kostensteigerungen im Modellversuch geführt hätte. Durch die Weiterbildungen wurden sehr intensive individuelle und institutionelle Entwicklungen (traumapädagogische Haltung) angeregt. Die Umsetzung in die institutionelle Praxis erfordert aber immer einen „sanften Druck und ein Wiederinnern“, was gerade in Zeiten, in denen die Institutionen mit Personalfluktuationen, anderen Prozessen und limitierten Ressourcen konfrontiert wurden, sehr gut nachzuvollziehen war. Die externe Position der Prozessbegleitung hat sich bewährt, um den Prozess voranzutreiben und moderieren zu können. Teilweise wäre es aber von Vorteil gewesen, eine konkrete Entlastung im Alltag de Institutionen für den zusätzlichen Aufwand zu haben. Durch den Modellversuch wurde deutlich, dass ein solcher Umsetzungsprozess ausreichend Zeit und Ressourcen braucht. Der Implementierungsprozess über mehrere Jahre schafft in einem Feld mit hoher Personalfluktuation auch Probleme, so dass es eventuell günstiger wäre, statt auf die Entwicklung der doch recht stark fluktuierenden Fachkräfte stärker auf Schlüsselprozesse in den Einrichtungen zu fokussieren. Auch eine stärkere Konzentration der Wissensvermittlung auf weniger grosse Blöcke zu Beginn eines Implementierungsprozesses könnte diese vielleicht etwas reduziere, auch wenn dies andere Nachteile implizieren würde (personelle Abdeckung von Wohngruppen, weniger Zeiten zum Ausprobieren und zur persönlichen Entwicklung zwischen den Seminaren). Für die Evaluation wäre es sicher von Vorteil gewesen, mit den Messungen erst nach der Etablierung von traumapädagogischen Konzepten zu starten und eine grössere homogenere Stichprobe zu untersuchen (ähnliches Alter, identische Problemlagen etc.), was allerdings schwer mit den Förderrichtlinien für die Modellversuche vereinbar gewesen wäre.
Ausblick und Schlussfolgerungen
Traumapädagogik ist inzwischen in der Schweiz etabliert, sehr viele Institutionen setzen sich mit traumapädagogischen Konzepten auseinander, wollen ihre Mitarbeitenden entsprechend qualifizieren und ihre Schlüsselprozesse nach traumapädagogische Ideen gestalten. Interessant ist, dass sich sowohl spezifische Einsatzgebiete im Bereich der Heimerziehung (niederschwellige Hilfen, Hilfen für kleine Kinder, Beobachtungs- und offene und geschlossene Durchgangsstationen) als auch andere psychosoziale Handlungsfelder, in denen man ebenfalls häufig mit traumatisierten Menschen konfrontiert ist, intensiver mit traumapädagogischen Hilfen auseinandersetzen möchte (Flüchtlingshilfe, Drogenarbeit, Frauenhäuser, Behinderten- und Pflegekinderbereich, etc.). Sicherlich wäre es angesichts der enormen Resonanz, die traumapädagogische Konzepte in der Deutschschweiz erfahren, auch interessant und wertvoll, traumapädagogische Konzepte in die anderen Schweizer Sprachregionen zu tragen. Weil die Nachfrage an traumapädagogischen Weiterbildungen kaum gedeckt werden kann und sich Präsenzveranstaltungen für Fachkräfte im Schichtdienst oft schwer mit Dienstplänen und familiären Verpflichtungen verbinden lassen, könnten hier auch E-Learning-Programme für viele Fachkräfte im Feld eine wertvolle Alternative darstellen.
Abschlussbericht | Zusammenfassung
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